Wer setzt den Standard beim autonomen und vernetzten Fahren? Im Wettlauf liegen Tech-Giganten aus dem Silicon Valley und China momentan vor den Automobilherstellern. Deutsche Hersteller kooperieren mit chinesischen Partnern. Zurecht, sagt Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer.

Neue Antriebsformen, Mobilitätsplattformen, Apps fürs Auto – die Automobilbranche steckt mitten in einem tiefgreifenden Wandel, manche reden gar von Disruption. Eines der bewegendsten Themen ist dabei derzeit das autonome und vernetzte Fahren. Gerade in diesem Bereich liefern sich die traditionellen Hersteller und Neueinsteiger aus dem Tech-Umfeld im Silicon Valley und aus China einen engen Wettlauf.

Denn wie immer bei den digitalen Umwälzungen der vergangenen Jahre ploppt auch hier das berühmte „The winner takes it all“-Prinzip auf: Wer den Standard setzt, kann einen ganzen Markt für sich erobern. Das kann aber nur, wer vorangeht und den Wettlauf gewinnt.

Amerikanische Tech-Unternehmen sind Vorreiter

Die Nase vorn haben derzeit die großen Tech-Giganten aus dem Silicon Valley. Die Google-Mutter Alphabet arbeitet schon seit 2009 mit ihrer Tochter Waymo intensiv an einem autonomen Fahrzeug. Milliarden flossen in die Tests von Fahrrobotern in der Mojave-Wüste und in „Firely“, ein selbstfahrendes Auto.

Auch der Fahrdienstvermittler Uber arbeitet seit längerem an einem autonomen Fahrzeug und hat schon einige Autos im Probebetrieb, unter anderem auch im US-Bundesstaat Arizona. Doch seit dem Unfall im März, bei dem eines der selbstfahrenden Autos eine Frau getötet hat, wurde die Uber-Testlizenz in Arizona vorerst nicht verlängert.

Ford setzt auf eigene Entwicklungen

Trotz dieser Rückschläge sehen die traditionellen Autohersteller immer mehr Handlungsbedarf, um beim Wettlauf ums vernetzte und autonome Fahren nicht den Anschluss zu verlieren. So hat Ford jetzt eine Innovationsoffensive angekündigt. In der neuen Unternehmenstochter Ford Autonomous Vehicles LLC geht die zuvor übernommene Firma Argo AI auf.

Das Unternehmen aus Pittsburgh ist spezialisiert auf Computer Science, Robotik und künstliche Intelligenz und möchte das Fahren mit autonomen Fahrzeugen sicherer und angenehmer machen. Unter der Führung von Sherif Marakby, der bei Ford bisher für das autonome Fahren und Elektroantriebe zuständig war, sollen bei der neuen Ford-Tochter in Detroit bis 2023 rund vier Milliarden US-Dollar investiert werden.

Deutsche Autohersteller kooperieren mit den Chinesen

Während Ford an hausinterner Innovation arbeitet, setzen die deutschen Automobilhersteller lieber auf Kooperationen mit Partnern in China. Der Grund: China ist bereits sehr weit in der Entwicklung vernetzter Fahrzeuge. Zum Beispiel hat die Volksrepublik in der Metropole Wuxi, die rund 150 Kilometer nordöstlich von Shanghai liegt, ein eigenes Testfeld für das autonome und vernetzte Fahren aufgebaut.

Ein Sechstel der Stadt ist bereits mit vernetzten Autos, Bussen, Ampeln und Schildern ausgestattet. Bis 2019 soll die Technik flächendeckend funktionieren und in 100.000 Autos installiert sein. Die Basis ist deutsche Technik, unter anderem das Traffic Light Information-System von Audi.

Erste Kooperationen, denen jetzt viele weitere folgen. Beim jüngsten Besuch von Chinas Ministerpräsident in Deutschland ließen sich Li Keqiang und Bundeskanzlerin Merkel auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof nicht nur selbstfahrende Autos vorführen. Die Chinesen und die deutschen Autobauer vereinbarten intensive Partnerschaften bei der technischen Zusammenarbeit und der Festlegung von Standards.

Daimler-Chef Zetsche: „Wir müssen führen“

Neben der Elektromobilität ging es bei den Vereinbarungen vor allem ums autonome und vernetzte Fahren. So vereinbarten Audi und Huawai gemeinsam an der Vernetzung des Autos zu arbeiten. Die Volkswagen Group will in vielen Bereichen mit dem chinesischen Partnerunternehmen FAW Group und einem Forschungsinstitut kooperieren. BMW hat sich vorgenommen mit Google-Konkurrent Baidu an Apollo zu feilen, einem Betriebssystem das zum „Android der autonomen Fahrindustrie“ werden soll.

Jetzt hat auch Daimler angekündigt, auf diesen Zug aufzuspringen und Apollo in Erprobungsfahrzeugen der Marke Mercedes zu testen. Gleichzeitig soll das Betriebssystem enger mit dem Multimediasystem „Mercedes-Benz User Experience“ verzahnt werden.

Für Daimler-Chef Dieter Zetsche ist das ein wichtiger Meilenstein im Wettlauf um die Zukunft der Mobilität und um die zukünftige Rolle der deutschen Automobilindustrie in der Welt. „Autonomes Fahren und Vernetzung von Autos entwickeln sich in China rasant“, so Zetsche. „Für unseren dauerhaften Erfolg reicht es nicht, diesen Trends nur einen Schritt voraus zu sein, sondern wir müssen führen.“

Deutschland steht gut da, aber China wird Standards setzen

Für Auto-Analyst Jürgen Pieper von der Metzler-Bank ist Deutschland beim autonomen und vernetzten Fahren schon lange vorne mit dabei. „Vor allem Continental und Bosch haben mit ihren Fahrer-Assistenzsystemen eine gute technologische Grundlage für das autonome Fahren gelegt. Diese Entwicklung wird jetzt weiter geführt“, sagt Pieper.

Trotz aller Anstrengungen erwartet der Automobil-Experte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen allerdings, dass künftige Mobilitätsstandards eher nicht in Deutschland gesetzt werden: „In China gibt es mehrere große Unternehmen, die das autonome und vernetzte Fahren nach vorne bringen wollen. Außerdem lieben die Chinesen neue Technologien und gehen mit einer hohen Geschwindigkeit voran – auch weil es starke, vom Staat vorgegebene Ziele gibt“, so Dudenhöffer.  „Die Chance ist deswegen groß, dass die Standards in der Zukunftsmobilität von China ausgehen.“

Dieser Hintergrundartikel ist Teil eines Themenpakets zur Mobilität der Zukunft vom 25.07.2018 auf boerse.ARD.de. Gleichzeitig erschienen dort das Experten-Interview mit Ferdinand Dudenhöffer sowie einer Bilderstrecke über Autos der Zukunft.